Interview: Das Glück schmieden

veröffentlicht am 04.08.2020

In der Zeit des Lockdowns haben wir begonnen, Impulse zu den Themen Resilienz und Glück (positive Psychologie) zu schreiben und zu veröffentlichen. Darauf ist auch unser Unternehmensservice-Kunde, die EWV, aufmerksam geworden und hat unsere Kolleginnen Marie Gurr (Caritas Unternehmensservice) und Yvonne Michel (Suchthilfe Aachen, Fachstelle für Betriebliche Suchtprävention) um ein Interview gebeten. Vielen Dank an die EWV  und den Verantwortlichen der Mitarbeiterschrift „wir“, dass wir dieses Interview hier bloggen dürfen:

 

Wer wünscht es sich nicht: einfach glücklich sein! Ganz so einfach ist das aber oft nicht. Nicht nur in Krisenzeiten hetzen wir oft durch den Alltag, ohne groß darauf zu achten, wie es uns geht. Marie Gurr und Yvonne Michel vom Caritas Unternehmensservice haben Ideen, was wir ganz konkret für unser eigenes Glück tun können.

wir: Frau Gurr, Frau Michel, manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EWV kennen Sie von den Vorträgen, die Sie schon bei uns gehalten haben.

Michel: Ja, das ist richtig. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) Impulsvorträge angeboten zum Thema „Resilienz und Glück“. Ich gestalte diese Vorträge immer interaktiv: Einerseits vermittle ich Informationen und Theorie zum Thema, andererseits festigen wir dieses Wissen dann mit konkreten Übungen.

wir: Unter „Glück“ können wir uns alle etwas vorstellen. Aber das Stichwort „Resilienz“ hat vielleicht noch nicht jeder gehört. Was hat es damit auf sich?

Michel: In der Wortbedeutung heißt es „Widerstandsfähigkeit“, der Begriff kommt eigentlich aus der Materialwissenschaft. Ein einfacher Vergleich: Wenn ich mit meinem Auto gegen einen Pöller fahre, gibt es eine Beule. Jetzt ist die Frage: Was passiert bei der Reparatur? Prallt die Beule einfach so wieder zurück? Oder gibt es Kratzer? Vielleicht bleibt die Beule sogar dauerhaft?
In der Psychologie verwendet man diesen Begriff eben auch und fragt: Was sind die Pöller in unserem Leben? Herausforderungen, Trennungen, schwere Krankheiten, Veränderungen im Job oder so etwas wie die Corona-Krise. Und die Frage ist: Was macht das mit mir und meiner Seele? Kann ich das hinterher wieder ausbeulen, ohne Schrammen? Oder bleibt da etwas übrig? Die Grundidee ist, dass Menschen sich stärken können in ihrer Widerstandsfähigkeit, also in ihrer Resilienz. Damit so eine Krise zwar nicht spurlos an ihnen vorübergeht, aber zumindest keine dauerhafte Beule bleibt.

wir: Kommen wir zum Thema Glück. Es gibt ja dieses Sprichwort: Jeder ist seines Glückes Schmied. Ist das so, aus Ihrer Sicht? Was kann ich aktiv beeinflussen und was muss ich vielleicht auch einfach hinnehmen?

Gurr: Man hat schon Einfluss auf das eigene Glück, ja. Tatsächlich ist es ein bisschen Übungssache. Welchem Erlebnis, welcher Beobachtung, welchem Gefühl gebe ich wie viel Gewicht und wie viel Einfluss auf mein Handeln und mein Leben? Blende ich eher die Dramen ein, die Konflikte, die schweren Dinge? Oder achte ich eher auf die schönen Begegnungen, die schönen Sonnenuntergänge, die lustigen Mittagspausen, obwohl der Job gerade sehr stressig ist? Je mehr man das übt, desto besser gelingt es einem, die positiven Erfahrungen und Erlebnisse einzublenden. Und logischerweise wird man dann auch immer glücklicher. Und es gibt auch einen Zusammenhang mit der Resilienz: Jemand, dem es nicht schwerfällt, die positiven Erlebnisse
einzublenden und die negativen auch schon mal links liegen zu lassen, der ist auch resilienter.

Michel: Es gibt natürlich auch Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann. Ich kann mir nicht aussuchen, in welche Familie ich hineingeboren werde oder mit welchen Bildungschancen ich aufwachse. Auch Corona haben wir uns alle nicht ausgesucht, da konnten wir nicht schmieden. Aber ich kann überlegen: Was gibt es trotz allem Schönes, auch in dieser Zeit? Was lerne
ich im Moment? Corona kann ich nicht beeinflussen, aber meine Haltung dazu.

wir: Und wie kriege ich das hin?

Michel: Es geht darum, sich nicht nur auf das zu konzentrieren, was schlimm ist, sondern auf das Positive. Das ist etwas, was man trainieren kann. Wenn ich dazu neige, eher pessimistisch zu denken, dann ist das in meinem Gehirn ausgeprägt wie eine Autobahn. Die kann ich umbauen: Wenn ich mich dazu zwinge, auf das Positive zu achten, trainiere ich diese neuronalen
Verbindungen – das Gehirn ist ein Muskel, es ist neuroplastisch. Und dann fange ich an, mein Glück zu schmieden.

wir: Wir reden hier also über seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse.

Michel: Genau. In der Psychologie gibt es den Bereich „Positive Psychologie“, wo die Glücksforschung angesiedelt ist. Das ist alles wissenschaftlich anerkannt.

wir: Haben Sie einen konkreten Tipp, wie ich für mein Glück trainieren kann?

Gurr: Es gibt zum Beispiel das Glückstagebuch. Die Psychologen sagen, dass dieses Instrument eine Erfolgsquote von 100 Prozent hat. Man setzt sich – am ehesten abends – hin und reflektiert den Tag. Dann schreibt man mindestens drei Dinge auf, die man gut fand und für die man dankbar ist. Das klingt einfach, fällt manchen Menschen aber sehr schwer. Trotzdem: Je krisenhafter die Situation ist, desto eher sollte man das tun. Es können auch ganz einfache, kleine Dinge sein: Der Kaffee war lecker, die Blumen sahen schön aus. So etwas.

Michel: Glück ist wie eine Perlenkette. Erst die vielen kleinen Perlen, die sich aneinanderreihen, machen sie zu einem Schmuckstück. Wenn man viele kleine Dinge wahrnimmt und wertschätzt, dann ergeben sie zusammen ein größeres, gutes Gefühl und eine gesunde Grundhaltung. Und für die Widerstandsfähigkeit kann man mehrere Schlüsselkompetenzen trainieren: Optimismus, Akzeptanz, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit … Für all diese Faktoren, die eine Rolle spielen, gibt es Übungen.

wir: Und wie kann ich Selbstwirksamkeit trainieren, wenn mir z.B. mein Vorgesetzter im Job gar keinen Gestaltungsfreiraum lässt?

Michel: Es gibt immer Rahmen, in denen ich alle Freiheiten habe. Zu Hause in meinem Garten zum Beispiel, kann ich machen, was ich will. Auch, wenn der Rahmen klein ist, kann ich dort dieses Gefühl erleben, dass ich mich einbringen und verwirklichen kann. Das hilft schon wieder dabei, die eigene Resilienz zu stärken.

Gurr: Und in Stress-Situationen kann ich mich fragen: Wie viel Macht gebe ich einem Thema oder einer Person, mir den Tag zu versauen? Wenn man das Problem immer wieder hochholt, es dem Kollegen erzählt, dem Partner usw., dann macht man den Stress auch immer wieder durch. Loslassen kann die bessere Lösung sein.

wir: Das klingt, als müsste man für dein Glück nicht nur einmal etwas tun, sondern immer wieder.

Michel: Das ist eine lebenslange Aufgabe, wie beim Sport. Man muss dranbleiben und man muss es wirklich trainieren – es reicht nicht, darüber zu lesen. Tipp: Wir senden seit Beginn der Corona-Krise regelmäßig Impulse per E-Mail an die Unternehmen, auch an die EWV. Hier sind konkrete Übungen enthalten: www.suchthilfe-aachen.de/aktuelles

wir: Und an wen kann ich mich wenden, wenn ich merke, dass ich mit meiner Situation allein nicht mehr zurechtkomme?

Gurr: Genau für solche Fälle sind wir (Anmerkung: für Kunden des Unternehmens-Service) da. Unsere Kontaktdaten können unsere Kunden der Notfallkarte entnehmen. Man muss aber keinesfalls warten, bis man ernsthaft krank ist. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Sie schon vorbeugend dafür sorgen können, dass es Ihnen gut geht – wie Sie also Ihre Resilienz stärken
und Ihr eigenes Glück schmieden können.

Yvonne Michel

Ansprechpartnerin

Yvonne Michel

Einrichtungsleitung, Fachkraft für betriebliche Suchtprävention

Telefon: 0241-41356130

E-Mail: y.michel@caritas-aachen.de