Mut-mach-Geschichte „Mein Weg aus der Glücksspielsucht“

veröffentlicht am 26.09.2025

„Ich bin ein Betroffener und teile meinen Weg aus der Glücksspielsucht, um anderen Mut zu machen.

Es ist eine Geschichte über Sucht, Selbsttäuschung, tiefe Krisen – und über Hoffnung, Heilung und Freiheit.

Schon als Kind war ich fußballbegeistert. Ich spiele bis heute selbst aktiv im Fußballverein und war immer überzeugt, dass ich viel Ahnung vom Spiel habe. Deshalb war ich mir sicher: Wenn jemand beim Wetten gewinnen kann, dann ich.

Mit 16 platzierte ich meine erste Wette – 2 Euro an einem Automaten im Café. Der Schein ging auf, ich gewann 80 Euro. Es fühlte sich an, als hätte ich einen geheimen Weg gefunden, mit wenig Einsatz schnelles Geld zu machen.

Von da an spielte ich regelmäßig – anfangs mit kleinen Beträgen. Während meiner Schulzeit, ohne eigenes Einkommen, setzte ich am Wochenende bis zu 5 Euro. Die Faszination wuchs, und bald konnte ich kein Fußballspiel mehr schauen, ohne darauf gewettet zu haben.

Mit dem Fachabitur in der Tasche begann ich 2016 zu arbeiten. Ich verdiente mein eigenes Geld: 1.600 Euro netto, lebte noch zu Hause – keine Ausgaben. Ich fühlte mich frei. Doch in Wirklichkeit begann hier die unsichtbare Abwärtsspirale.

Nun wurden meine Einsätze schleichend höher. Ich versuche es mal mit 20 Euro und mit 50 Euro, denn somit steigert sich der Gewinn natürlich, dachte ich. Ich habe schnell bemerkt, dass der Reiz zum Spielen nun viel interessanter war und wurde zudem zu einer Freizeitbeschäftigung für zuhause. Ein Wochenende ohne Tippschein war unmöglich, zudem konnte ich kein Fußballspiel mehr schauen, ohne auf dieses Spiel getippt zu haben. Wetten wurde zur Gewohnheit. Doch die Kontrolle war längst eine Illusion.

2021 verkaufte ich mein Auto. Plötzlich hatte ich 28.000 Euro auf meinem Konto. Statt den Kredit bei der Bank abzuzahlen, spielte ich weiter. Schnell wurde der Einsatz auf mindestens 100 Euro hochgeschraubt. Die Gier nach mehr Geld und der Nervenkitzel des Spielens hatten mich fest im Griff.

Bis zu dem Zeitpunkt war mir nicht klar, in welche Falle ich getappt bin und war mir noch bevorstehen würde. Meine Spielzeit erhöhte sich drastisch und ich spielte nun auch regelmäßiger unter der Woche. Eigentlich an fast allen Tagen, wo Fußball läuft. Also Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag, ja, jeden Tag. Mein Leben drehte sich nur noch um Fußball und Wetten, ich war nicht mehr in der Lage, mich von der Sucht zu befreien. Die Konsequenzen meines Handelns waren mir egal, solang ich nur spielte und hoffte, zu gewinnen.

Ich setzte bald 1.000 Euro auf einen einzigen Schein – sogar abends zum Einschlafen, ohne Herzklopfen. Ich war völlig abgestumpft.

Dann kam der große Moment: Mein Einsatz 4.000 Euro auf einen Wettschein – acht Spiele, auf mehrere Tage verteilt.

Vorher wurde mein Schein in einer Facebook-Gruppe geteilt, um Meinungen andere einzuholen. Sieben von acht Spielen waren schon richtig und man bot mir 30.000 Euro an, um den Schein zu verkaufen. Für diese Summe ging ich ein halbes Jahr lang arbeiten, doch dieser Gedanken hielt mich nicht davon ab das Angebot abzulehnen.

Und tatsächlich – das letzte Spiel ging auf und der Schein ist gekommen. Ich gewann 43.000 Euro. Nach dem Gewinn war ich nicht mehr ich selbst. Ich nahm mir vier Wochen unbezahlten Urlaub, weil ich keinen Kopf mehr für die Arbeit hatte und mir diesen kleinen Moment der Freiheit erlauben wollte. Ich fühlte mich unbesiegbar. Mein Umfeld feierte mich. Und ich dachte: Das ist mein Weg raus aus Unsicherheit, Selbstzweifel und Scham – raus aus allem, was ich lieber verstecken wolle.

Nachdem der Gewinn feststand, erhielt ich Dutzende Anfragen und Nachrichten. Ich gründete meine eigene Facebook-Gruppe, um dort meine Tipps und Scheine zu posten. Die Gruppe wuchs schnell auf über 6.500 Mitglieder – das fühlte sich nicht mehr normal an. Zwischenzeitlich dachte ich sogar daran einen Mitarbeiter einzustellen, der die Nachrichten verwaltet und die Tipps analysiert. Ich erhielt Geldangebote, um Tipps abzugeben.

Ich buchte einen Karibikurlaub mit meinem besten Freund und mietete einen Lamborghini für ein langes Wochenende – finanziert durch den Wahn. Ich lebte den Traum, auf den Schultern meiner Sucht.

Ich genoss den Ruhm für eine sehr kurze Zeit, denn meinen restlichen Gewinn verspielte ich innerhalb von zwei Wochen. Ich hatte gewonnen – aber nichts behalten. Kein Geld, keine Freude, keine Freiheit. Nur Leere.

Ich fragte mich, am Boden zerstört, zum ersten Mal:

Wofür spiele ich überhaupt?

Doch ich fand keine Antwort. Das Wetten war mein Leben geworden. Ohne Spiel – kein Reiz, kein Sinn.

Meinen gesamten Urlaub konnte ich nicht in Ruhe genießen, denn ich hatte immer eine Wette am Laufen.

Mit diesem Gewinn habe ich den kompletten Bezug zu Geld verloren. Gewinne unter 1.000 Euro reizten mich überhaupt nicht mehr. Dementsprechend mussten die Einsätze hoch bleiben.

Mein Lohn war schneller weg, als ich gucken konnte. Ich war längst nicht mehr in der Lage, die Sucht zu bekämpfen. Ich beschloss also Kredite aufzunehmen, nur um überhaupt weiterspielen zu können.

Es dauerte noch weitere zwei Jahre – harte Jahre geprägt durch Verstecken, lügen, Fassade aufrechterhalten und Gefühle unterdrücken – bis ich die richtige Entscheidung getroffen habe.

Es kam der Zeitpunkt, an dem ich keine Gelegenheit mehr hatte an Geld zu kommen. Ich hatte also keine andere Wahl: Denn all meine Lügen musste ich nur preisgeben. Ich offenbarte mich – meiner Familie, meiner Frau, Obwohl vier gerade vier Wochen verheiratet waren, nach 13 Jahren Beziehung.

Es war der schwerste Moment meines Lebens – abgesehen vom Tod eines geliebten Menschen. Aber auch der wichtigste. Ich wüsste nicht, wo ich heute stehen würde, wenn ich mich weiterhin belogen und es niemanden erzählt hätte.

Ich habe unglaublich viel Kraft durch das Wetten verloren – Kraft, die ich heute Schritt für Schritt wieder aufbaue.

Ich begann zu begreifen: ich kann Leben – ohne Wetten.

Nach der Enthüllung ging ich in die Beratungsstelle, ließ mich bei OASIS sperren und gab meine Girokarte ab. Ich begann eine Therapie, ging zu den Gruppensitzungen und beantragte eine Privatinsolvenz.

Doch viel wichtiger: ich lernte zuzuhören. Ich spürte mich wieder. Ich hatte bessere Laune, klarere Gedanken und ein ruhigeres Herz. Es fühlte sich an wie ein neuer Lebensabschnitt.

Ich investiere meine Zeit heute in echte Dinge: Gespräche, Familie, Hobbys und vor Allem dem Sport.

Mein Kopf ist endlich klar. Mein Körper ruhig. Ich bin frei – und das spüre ich jeden Tag. All das sind Dinge, die ich heute bewundere und genieße, auch wenn es 12 Jahre gedauert hat, es hat mir die Augen geöffnet, dass man auch ohne Sportwetten ein glückliches Leben führen kann.

Was ich besonders hervorheben möchte, ist meine Frau und meine Familie.

Ich hätte meine Frau verlieren können, doch sie ist an meiner Seite geblieben. Sie hat an mich geglaubt. Mir ist klar geworden, wie wichtig es ist eine Familie zu haben, die hundert Prozent hinter einem steht.

Und auch wenn Du keine Familie hast oder dich gerade allein fühlst:

Hol die Hilfe in einer Beratungsstelle für Glücksspielsucht.

Die Sucht wird immer ein Teil meines Lebens sein. Ich habe die Funktionen meiner Sucht erkannt und habe hingeschaut. Ich habe mich meiner Familie geöffnet. Ich bin endlich ehrlich zur mir selbst.

Ich möchte Dir sagen: Hol die rechtzeitige Hilfe, wenn Du das Gefühl hast, dass es außer Kontrolle gerät. Hilfe holen ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist der Anfang von allem, was wieder heil werden kann. Es ist der erste Einsatz, der sich wirklich lohnt.“

 

 

Mandy Diederen

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Mandy Diederen

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E-Mail: m.diederen@caritas-aachen.de