Die Corona-Pandemie als Nährboden von Süchten

veröffentlicht am 27.07.2020

Stress durch massive Einschränkungen sozialer Begegnungen kann riskanten Alkohol- und Tabakkonsum sowie Suchtverhalten fördern, wie aus früheren Epidemien bekannt ist. Diese Gefahr besteht auch in der aktuellen Corona-Pandemie. Das belegt eine Studie zur Veränderung der Alkohol- und Tabakkonsumgewohnheiten während des Lockdowns, die vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim und der Universitätsklinik Nürnberg initiiert wurde.

Demzufolge trinken 37,4% der Befragten seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen mehr Alkohol. 42,7% der Studienteilnehmenden konsumieren mehr Tabak als zuvor. Daher sei es wichtig, über Risiken und mögliche Langzeitfolgen zu informieren sowie niederschwellige medizinische und soziale Hilfsangebote bereits während der Akutphase der Corona-Pandemie aufzubauen, schlussfolgern die Autoren der Studie.

Das Deutsche Ärzteblatt schreibt dazu:

„(…) Der Konsum von Alkohol ist in Zeiten persönlicher, aber auch gesellschaftlicher Krisen ein bei vielen Menschen gelernter Bewältigungsmechanismus, da er Ängste und Sorgen abmildern, entspannen und beruhigen kann. Gleichzeitig entfallen durch fehlende soziale Aufgaben und Kontrollen etwa am Arbeitsplatz oder bei persönlichen Kontakten im privaten Umfeld während des Lockdowns Gründe nicht zu trinken. Man kann vermuten, dass auch für den Tabakgebrauch ähnliche Mechanismen von Bedeutung sind. Während des Lockdowns entsteht eine Situation, in der für manche Menschen subjektiv mehr Gründe für einen vermehrten Alkohol- oder Tabakkonsum sprechen als dagegen. Aufgrund des Abhängigkeitspotenzials von Alkohol und Tabak besteht jedoch die Gefahr, dass aus einem länger andauernden erhöhten Konsum während der Isolation im Lockdown eine Gewohnheit entsteht, die nach dessen Ende nicht mehr zurückgefahren werden kann, und sich eine Abhängigkeit entwickelt. Zudem kann es durch die neurobiologischen Ver-änderungen im Rahmen eines chronisch erhöhten Alkoholkonsums in Kombination mit sozialem Stress und Ängsten zu einer Zunahme von Aggressionen kommen. Das lässt auch die Gefahren für das Umfeld derer, die mehr Alkohol konsumieren, steigen. (…) Personen, die ihre Tagesstruktur weitgehend durch die berufliche Beschäftigung beibehalten konnten, scheinen weniger von einem erhöhten Konsum von Alkohol und Tabak betroffen zu sein. Hingegen scheinen besonders diejenigen Personen gefährdet zu sein, die vor Beginn der Ausgangseinschränkungen regelmäßig Alkohol konsumiert haben. Personen mit einer geringen Schulbildung zeigen ein erhöhtes Risiko sowohl für einen vermehrten Alkohol- als auch Tabakkonsum. (…) Es scheint uns daher wichtig, schon während der Akutphase der COVID-19-Pandemie die Bevölkerung über die Risiken und mögliche Langzeitfolgen eines vermehrten Alkohol- und Tabakkonsums während dieser Ausnahmesituation zu informieren und niederschwellige medizinische und soziale Hilfsangebote aufzubauen. Dies kann beispielsweise in Form von (anonymen) telefonischen oder Online-Beratungsangeboten erfolgen. Gleichzeitig ist es aus unserer Sicht wichtig, dass sich alle im Ge-sundheitssystem Tätigen dessen bewusst sind und bereits bei ersten Anzeichen für eine Steigerung des Alkohol- oder Tabakkonsums Patienten in der aktuellen Situation offen darauf ansprechen und an entsprechende Hilfsangebote weitervermitteln.“

Den gesamten Bericht des Deutschen Ärzteblattes 25/2020 können sie hier einsehen.