Gedächtnisprotokoll einer Cannabis-Debatte

veröffentlicht am 15.11.2016

Am 08.11.2016 luden das Bündnis 90/ Die Grünen nach Aachen zum  GRÜNEN Salon ein, um über das Thema „Cannabislegalisierung – Chancen und Risiken“  zu diskutieren. In der Einladung hieß es:

„Cannabis ist mit Abstand die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland. Nach Jahren der Prohibition und des „Kriegs gegen Drogen“ findet nun auch in Deutschland ein Umschwung statt. Legalisierungen in den Vereinigten Staaten und anderswo auf der Welt heizen die Debatte bei uns an. Das Bundesgesundheitsministerium richtet aktuell eine „Cannabis-Agentur“ ein, um Schwerkranken den Zugang zu Cannabis als Medizin zu erleichtern – eine Legalisierung als Genussmittel wird aber abgelehnt. Zu Recht?
Welche Chancen und Risiken bietet eine Legalisierung von Cannabis – sowohl für die Medizin, als auch für den privaten Konsum? Wie sieht es in NRW und hier in der Region Aachen aus? Effektiver Jugendschutz? Kriminalität? Suchtprävention? Viele Fragen, viele Antworten.“

Zu Gast waren Sven Lehmann (Landesvorsitzender der GRÜNEN NRW), Kalle Wilms (Suchthilfe Aachen), Jörg Böckem (Buchautor und Journalist), Lisa Lassay (Kinderärztin am Aachener Klinikum), Gabriele Neumann (Apothekerin in Aachen), Hubert Wimber (Polizeipräsident aus Münster a.D.). Moderiert wurde der Abend von Melanie Seufert, sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN in Aachen.

Zu Gast war auch unsere Mitarbeiterin Yvonne Michel, Fachkraft für Suchtprävention, die hier eine Auswahl von Thesen und Argumenten zusammen gestellt hat.

  • Das höchste Risiko für nachweisbar, irreversible Schäden z.B. im Gehirn tritt bei Konsumenten auf, die bereits mit 11 bis 15 Jahren mit dem Kiffen beginnen.
  • Bei Erwachsenen sind die Schäden zum Tel reversibel, zumindest bei einer mindest 3-Monatigen Abstinenz.
  • Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einem problematischen Konsum haben 75% keinen Schulabschluss.
  • Diese Erkenntnisse sowie u.a. Erfahrungen aus Amerika, bei denen Erwachsenen mit Cannabis-Lizenz die Substanz für Jugendliche abgeben, machen deutlich, wie wichtig ein guter Jugendschutz beim Thema Cannabis ist. Jugendliche und junge Erwachsene bis 21 Jahren sollten kein Cannabis bekommen können.
  • Jörg Böckem, Autor des Buches „Lass mich die Nacht überleben“, sagt: “ Die Verbote haben mich eher in meiner Jugend in einer Phase der Rebellion gereizt, Drogen zu konsumieren.“
  • Abschreckung funktioniert bei denen, die gar nicht abgeschreckt werden müssten, weil sie sowieso eher keine Drogen konsumieren. Risikofreudige dagegen lassen sich davon nicht abhalten.
  • Für viele Jugendlichen gehört der Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderen Drogen zur Lebenswelt dazu. Viele sind informiert und interessieren sich. Daher ist Jugendschutz, Harm Reduction und Begleitung von Jugendlichen bei dem Thema so wichtig.
  • Prohibition hat sich überholt und erschwert die Prävention.
  • Ziel sollte sein, die Ideologie bei dem Thema Cannabis wegzulassen.
  • Neben den Schlechten Seiten von Drogen, müssen auch die tollen, interessanten, guten Seiten besprechbar sein dürfen, z.B. von Lehrern und Schulsozialarbeitern. Unter der gegebenen Rechtslage ist dies nicht möglich.
  • Alles was mit Rausch zu tun hat, birgt Gefahren. Bisher unterscheiden wir aber in den Diskussionen häufig zwischen legal und illegal… und glauben, dass legale Drogen (wie Alkohol) harmloser sind. Wir bewerten legale Drogen anders als illegale und stoffgebundene anders als Verhaltenssüchte. Wichtiger scheint es, über den Wunsch nach Rausch generell zu sprechen und einen gesunden Umgang mit einem Rausch zu finden.
  • Erfahrungen mit THC in der Medizin gibt es schon länger, z.B. mit dem Medikament Dronabinol. Dieses Medikament wird aber nicht von den Krankenkassen bezahlt und ist damit für die Patienten sehr teuer.
  • In Deutschland gibt es noch nicht viele Erfahrungen mit dem Eigenanbau für medizinische Zwecke. Die Apothekerin gibt zu bedenken, dass ist schwierig ist, den Wirkstoffgehalt in der Pflanze zu messen – Ist genug Wirkstoff drin, so dass die medizinische Wirkung einsetzt oder evtl. zu wenig oder gar zu viel?
  • Der kontrollierte Anbau, wie in den Niederlanden betrieben, könnte hier eine praktikablere Lösung sein.
  • Noch gibt es wenig Studien z.B. zur Wirkung von THC als Arzneimittel in der Kombination mit anderen Arzneimitteln.  Diese und andere Forschungsfragen in Bezug auf „Cannabis als Medizin“ müssen dringend gestellt und beantwortet werden.
  • Die momentane Rechtslage fördert den Schwarzmarkt. Problem: Straßen_Cannabis ist fast immer gestreckt, z.B. mit Sand, Haarspray, Henna, Glas oder Blei. Die möglichen Risiken  und Langzeitfolgen sind noch gar nicht genügend erforscht. Die Wirkung ist damit nicht gleich, sodass Straßen-Cannabis nach Ansicht von Frau Neumann als Medizin nicht geeignet ist.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand erwischt wird und das Strafverfahren mit einer Verurteilung endet, liegt bei 1:4.
  • In Deutschland gibt es im Jahr 46.000 Verurteilungen für konsumnahe Delikte im Zusammenhang mit illegalen Drogen.
  • Cannabis ist bei regelmäßigem Konsum bis zu 12 Wochen nachweisbar, was z.B. beim Führerschein ein Problem werden kann. Denn hier gibt es keinen vergleichbaren Wert wie der „Promillewert“ beim Alkohol.
  • Ziel der Repression und der momentanen Gesetzeslage ist es, die Menschen von Drogen fern zu halten und Schaden zu minimieren. Dieses Ziel wird nicht erreicht, sodass diese Politik als gescheitert gilt – weltweit.
  • Das Problem: Auf dem Schwarzmarkt gibt es keinen Jugendschutz und keine Qualitätskontrollen. Der Staat hat die Kontrolle über den (illegalen) Markt durch die Kriminalisierung verloren.
  • Der Umsatz bei illegalen Drogen liegen bei 400 – 5000 Milliarden Dollar weltweit pro Jahr. Die Profitrate liegt bei 85%, sodass der illegale Markt für viele interessant scheint.
  • Eine Entkriminalisierung und Regulierung des Marktes wird den Schwarzmarkt vermutlich nicht ganz ausrotten, aber würde dem kriminellen Markt zumindest einen großen, wichtigen Teil wegnehmen.
  • Jährlich werden in Deutschland ca. 3,5 Milliarden Euro für Polizei, Staatsanwaltschaft, Gefängnis etc. ausgegeben. Nur ein Bruchteil fließt in die Prävention oder Behandlung von Betroffenen.