Interview „Arbeit und Gesundheit“

veröffentlicht am 20.11.2020

Unser Praktikant Jannik Weidemann hat zum Abschluss unserer Themenreihe ein Interview geführt mit zwei Psychologinnen der arbeitsmedizinische Praxis Dr. Suchodoll.

JW: In unserem Blog setzen wir uns als Alternative zur traditionellen Herbstfortbildung, die leider aufgrund von Corona verschoben werden musste, mit Fragen rund um das Thema „Arbeit und Gesundheit“ auseinander. Als arbeitsmedizinische Praxis Dr. Suchodoll ist es Ihre Kernkompetenz, zu schauen, wie Arbeit gestaltet sein muss, damit sie nicht krank macht. Daher freuen wir uns, Sie als Gesprächspartner gewinnen zu können. Vielen Dank schon jetzt, dass Sie sich für unsere Interviewfragen Zeit nehmen.
D
arf ich Sie als Gesprächspartner bitten, sich uns und unseren Lesern kurz vorzustellen:

Wir sind Maria Rühl, Psychologin, seit dem Masterabschluss vor 3,5 Jahren in der Praxis tätig, aktuell zudem in der Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin und Regine Vieweg, Diplom-Psychologin und systemische Beraterin, seit 5 Jahren in Praxis tätig.

 

 

 

 

 

 

 

JW: Arbeit ist für viele Menschen erstmal negativ konnotiert und wird oft mit Stress und Belastung verbunden. Aber ist das so? Macht Arbeit per se krank?

Nein, Arbeit macht nicht per se krank. Im Gegenteil, Arbeit kann ein wichtiger Aspekt für die (psychische) Gesundheit sein. Sie gibt unserem Tag Struktur, uns eine sinnhafte Aufgabe und das Gefühl, gebraucht zu werden. Außerdem haben wir durch die Arbeit meist soziale Kontakte, lernen durch neue Aufgaben dazu und entwickeln uns durch Herausforderungen weiter.

Trotzdem kann es natürlich auch Faktoren aus unserem Arbeitsleben geben, die uns belasten und langfristig eine negative Wirkung auf unsere Gesundheit haben können. Wenn ich mich beispielsweise permanent überfordert erlebe, weil ich mein Aufgabenpensum in der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht erledigen oder fachlich nicht angemessen bewerkstelligen kann, führt das unter Umständen zu psychischen Beeinträchtigungen, gegebenenfalls auch langfristig mit körperlichen Folgen.

JW: Was ist nötig, damit Arbeit einen positiven Einfluss auf die Gesundheit – physisch oder psychisch – der Menschen hat? Gibt es besondere Voraussetzungen oder könnte man pauschal sagen, dass jede Art von Arbeit der Gesundheit zuträglich ist.

Auch wenn die Arbeit für uns ein wichtiger Bestandteil psychischer Gesundheit sein kann, kann man nicht pauschal sagen, dass jede Form der Arbeit gesundheitsförderlich ist. Positiv auf unser Wohlbefinden wirkt sich die Arbeit in der Regel dann aus, wenn wir mit unserer Arbeit insgesamt zufrieden sind und wir uns mit ihr in einer Balance erleben.

Was genau die Arbeit für uns positiv macht, ist dabei sehr individuell und hängt auch davon ab, was uns persönlich motiviert. Die eigene Arbeit dabei als sinnvoll und relevant zu erachten, kann zum Beispiel ein wichtiger Motivationsfaktor sein. Außerdem sollte die Arbeit uns auf einem angemessenen Level fordern – Grundvoraussetzung kann da sein, dass sie zu unserer Ausbildung passt. Sie sollte uns also weder über- noch unterfordern. Soziale Aspekte, wie ein angenehmes Betriebsklima, guter Austausch unter Kollegen und unterstützende Führungskräfte spielen außerdem eine Rolle, wenn es darum geht, wie wohl wir uns in unserem Job fühlen und wie er sich letztendlich auf unsere (psychische) Gesundheit auswirkt. Wertschätzung und Anerkennung durch das Umfeld – insbesondere durch Vorgesetzte, aber auch durch Kollegen – haben dabei einen besonders hohen Stellenwert.

Selbstverständlich muss auch grundlegend gewährleistet sein, dass keine physischen Gefährdungen von der Tätigkeit bzw. den Arbeitsbedingungen ausgehen – oder gegebenenfalls entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden.

JW: Angenommen meine Arbeit hat aus verschiedenen Gründen einen schlechten Einfluss auf meine Gesundheit (z.B. aufgrund von zu viel Stress; zu hohem Druck etc.) … Was könnte ich selbst Ihrer Meinung nach tun, um mich vor diesem negativen Einfluss auf die Gesundheit zu schützen? Was könnte mein Arbeitgeber tun?

Damit die Arbeit auch bei einem hohen Belastungsniveau nicht zu dauerhafter Beeinträchtigung führt, ist es besonders wichtig, einen Ausgleich zu schaffen. Dazu gehört auch, sich in seiner Freizeit nicht weiter mit den Problemen der Arbeit zu befassen. In der Psychologie wird das oft als Abgrenzung zwischen Privat und Beruf bezeichnet. In der Freizeit sollte man also auf Dinge zu setzen, die einem Freude und Entspannung bringen und einen Gegenpol zur möglichen Belastung bei der Arbeit darstellen.

Wenn man sich durch die Arbeit gestresst fühlt, lohnt es sich außerdem, einmal zu beobachten, was es eigentlich genau ist, was einen belastet. Oft ist es ein Zusammenspiel aus externen und internen Faktoren, also z.B. Termindruck von außen in Kombination mit meiner eigenen Anspruchshaltung, Aufgaben besonders schnell und trotzdem perfekt zu lösen. Das kann dann insgesamt zu einer Diskrepanz und damit zu Stress führen.

Dann ist es hilfreich zu überlegen, auf welche Faktoren ich selbst Einfluss nehmen kann. Also z.B. das Gespräch mit meinem Vorgesetzten suchen, um zu signalisieren, dass die Aufgaben in der vorgegebenen Zeit nicht zu lösen sind. Gleichzeitig kann ich aber auch prüfen, ob wirklich alles so schnell und perfekt gelöst werden muss. Vielleicht stellt man dann fest, dass die eigenen Ansprüche höher sind, als die von außen vorgegebenen und dass mein Eigenanteil an der „Stressproduktion“ nicht unerheblich ist. Wirksam ist in dem Fall eigentlich nur, die eigenen Ansprüche etwas zu senken, um den Druck zu reduzieren.

Wenn ich bemerke, ich kann (oder will) weder an den externen, noch an den internen Faktoren etwas verändern, sollte ich mir überlegen, ob ich die Situation dennoch so akzeptieren kann. Falls das nicht der Fall sein sollte: Was wäre die Alternative? Wenn ich mit der Beantwortung dieser Frage nicht weiterkomme, ist es hilfreich, mit Außenstehenden darüber zu sprechen.

Für Arbeitgeber ist es sicherlich der beste Ansatz, das offene Gespräch zu suchen und gemeinsam Lösungen zu finden, um seine Mitarbeitenden vor gesundheitsschädlicher Arbeitsüberlastung zu schützen. Wichtig ist dabei, das Anliegen der Betroffenen ernst zu nehmen und individuell darauf einzugehen. Das Gefühl vermittelt zu bekommen, mit der Belastung nicht allein gelassen zu werden, kann häufig schon einen großen Unterschied machen.

JW: Als Suchthilfe interessiert uns natürlich die Frage, ob eine negativ erlebte Arbeit Suchtgefahren mit sich bringen kann. Wie sehen Sie das?

Unserer Erfahrung nach besteht die Gefahr für riskantes Konsumverhalten oder sogar Sucht vor allem dann, wenn es nicht mehr gelingt, in der Freizeit einen zufriedenstellenden Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. Mögliche Hintergründe können beispielsweise sein, dass, aufgrund der zeitlichen oder vielleicht auch inhaltlichen Anforderungen der Arbeit, kein Raum für Ausgleich mehr da ist – zeitlich oder auch mental. Oder es gibt gar keinen positiven oder auch entspannenden Ausgleich im Privaten, zum Beispiel wegen einer manifesten Krise im familiären Umfeld – wenn also Mehrfachbelastungen vorliegen.

Wenn ich also in solchen Situationen um „runterzukommen“ vom stressigen Arbeitsalltag zu Alkohol oder anderen Substanzen greife und es irgendwann auch ohne diese Mittel nicht mehr gelingt. Dabei kann es sein, dass ich Alkohol oder Drogen konsumiere, um Spaß zu haben oder aber auch, um den „Kopf frei zu kriegen“ und mich zu entspannen. Viele Menschen, die Negatives auf der Arbeit erleben, klagen häufig auch über Schlafschwierigkeiten. Das Suchtpotenzial für Schlafmedikamente ist hier sicherlich hierbei auch gegeben.

JW: Und umgekehrt: Kann Arbeit auch suchtpräventiv wirken? Wenn ja, wie muss Arbeit und der Arbeitsplatz dann eher gestaltet sein?

Wichtig ist unserer Ansicht nach, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben möglich ist. Permanente „Grenzüberschreitungen“ im Sinne von angeordneten bzw. erwarteten Überstunden oder eine ungeregelte Erreichbarkeit nach Feierabend und an Wochenenden sollten also beispielsweise vermieden werden. Generell kommt hier der Achtsamkeit von Vorgesetzten eine große Bedeutung zu: Nehme ich als Führungskraft wahr, ob es mein Team schafft, weitestgehend eine guten Ausgleich herzustellen? Biete ich Gespräche und Unterstützung an, wenn ich den Eindruck habe, Mitarbeitenden gelingt dies nicht (mehr) angemessen?

Darüber hinaus wirken auch die anderen oben genannten gesundheitsförderlichen Aspekte von Arbeit und Arbeitsbedingungen – wie beispielsweise Sinnhaftigkeit der Arbeit, Handlungsspielräume, Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie Unterstützung und Wertschätzung durch Vorgesetzte und Kollegen – im Kontext der Suchtprävention positiv.

JW: Gibt es besonders aussagekräftige Positiv- oder Negativbeispiele, die Ihnen bei dem Thema „Arbeit und Gesundheit“ oder „Sucht und Arbeit“ einfallen?

Wir haben in unseren Beratungsgesprächen durchaus schon häufiger erlebt, dass Menschen die Arbeit als sichere Konstante und Ausgleich zum privaten bzw. familiären Stress erlebt haben. Gerade wenn es zuhause aus verschiedensten Gründen nicht so gut läuft, kann die Arbeit ein wichtiger Anlaufpunkt sein, der Halt und Struktur gibt.

Auf der anderen Seite sehen wir aber auch immer wieder Menschen, die durch die Arbeit so massiv überlastet sind, dass sich schon körperliche Symptome, wie z.B. Schlafstörungen, Bluthochdruck und Kopfschmerzen zeigen.

Und auch das zeigen einige Beispiele aus unserer Praxis: Arbeit selbst kann zur Sucht werden. Bei manchen, weil sie (nur) hier besonders viel Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Oder weil im Privatleben kaum positive Anreize wahrgenommen werden. Wiederum andere berichten, immer arbeiten zu müssen: Nach dem Feierabend in der Haupttätigkeit noch nebenberuflich… am Abend und am Wochenende im eigenen, unfertigen Haus… bei Bekannten helfen… jeden unterstützen, der Bedarf hat… Teilweise wegen des Einkommens, teilweise wegen der sozialen Anerkennung, aber auch um sich zu „spüren“, um nicht zur Ruhe kommen zu müssen und den eigenen Gedanken und Gefühlen nicht „ausgeliefert“ zu sein. Mit der Folge, dass Entspannung und Ausgleich irgendwann gar nicht mehr möglich sind und die Gesundheit massiv leidet.

JW: Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie gibt es bei vielen Arbeitnehmern eine große Verunsicherung, ob und wie sie ihrer Arbeit weiter nachgehen werden können. Welche Techniken und Möglichkeiten sehen Sie, dass diese Menschen auch in der momentanen Situationen Zufriedenheit aus ihrer Arbeit ziehen können?

Insbesondere für die Arbeit im Homeoffice ist es wichtig, trotzdem im Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten zu bleiben. Dies kann zum Beispiel durch virtuelle Kaffeepausen per Videokonferenz oder ähnliches gelingen. Wichtig im Homeoffice ist außerdem, gewohnte Strukturen und Abläufe einigermaßen ähnlich beizubehalten. Pausen und Feierabend sollten eingehalten werden, um Privates und Berufliches trotz der räumlichen Nähe voneinander trennen zu können.

JW: Gibt es etwas, dass Sie den Lesern unseres Blogs noch gerne zum Thema „Arbeit und Gesundheit“ mitteilen wollen?

Arbeit und Gesundheit sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Ist unsere Arbeit motivierend und angemessen herausfordernd, die Bedingungen „praktikabel“ und das Arbeitsumfeld unterstützend und wertschätzend, dann fördert dies unser Wohlbefinden und ist damit ein wichtiger Baustein für unsere Gesundheit. Fühlen wir uns gesund und vital, meistern wir wiederum unsere Herausforderungen im Arbeitsleben leichter und zufriedenstellender.

Damit alles im Einklang und unsere Gesundheit erhalten bleibt, brauchen wir jedoch eine gute Balance zwischen sämtlichen Lebensbereichen: Arbeit, Familie und Partnerschaft, soziale Kontakte, Hobbies, Sport und Entspannung, Ernährung und Genuss… Darüber hinaus benötigen wir mitunter Strategien und Zuversicht, um in „Schieflagen“ wieder die Balance herzustellen.

Den Löwenanteil für die Erhaltung der Gesundheit trägt jeder Einzelne für sich selbst. Arbeitgeber können jedoch versuchen, Bedingungen (unabhängig von der Verhinderung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren) zu schaffen, die eine gesundheitsförderliche Wirkung der Arbeit ermöglichen oder erleichtern. Man spricht hier von Verhältnisprävention.

Wir bedanken uns für Ihre Mühen und die Möglichkeit für diesen interessanten Austausch.

 

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Yvonne Michel

Ansprechpartnerin

Yvonne Michel

Einrichtungsleitung, Fachkraft für betriebliche Suchtprävention

Telefon: 0241-41356130

E-Mail: y.michel@caritas-aachen.de